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Miss-Wahlen waren in der DDR so selten, dass manche Zeitungen noch „Miß-Wahlen“ ankündigten. Doch das war – selbst nach alter Rechtschreibung – ein Mißverständnis.

Als im Mai 1989 „Miss Leipzig“ gesucht wurde, sahen einige junge Frauen darin eine kleine Chance, ihrem Alltag zu entfliehen. Was ist aus ihnen 20 Jahre später geworden? Der Dokumentarfilmer Gunther Scholz gibt darauf neun verschiedene Antworten. Denn neun Frauen hat er nun wieder besucht. Diesen Film sollten Sie unbedingt sehen – wenn Sie können. 

Miss Wahl„Sag mir, wo die Schönen sind“ – eine Produktion des MDR, WDR und ARTE – lief zwar auf der Berlinale (Sektion Panorama), doch leider hat die Dokumentation keinen Verleiher gefunden. Wahrscheinlich geht sie nächstes Jahr zum Jubiläum des Mauerfalls in irgendeiner Mitternachtssendestrecke unter. Dies alles völlig zu Unrecht! Denn schon bei der Aufführung kürzlich im Babylon Mitte, war das Kino ausverkauft. Nun gibt es immerhin dort nochmal ein paar Sondervorführungen (Termine siehe unten). Die möchte ich Ihnen ans Herz legen.

Hier geht es um kleine Träume in der DDR – die Kritiker gern voreilig als naiv oder sentimental abtun – die aber schlicht dem Lebensgefühl entsprachen. Und jetzt ist doch besonders interessant, was daraus wurde. Träumen die Frauen heute noch ihr Leben? Oder leben die Frauen heute ihren Traum? Oder weder noch?

Klar wird, dass die Mauer – nur sechs Monate nach jener Miss-Wahl – nicht nur fiel, sondern in jedes der neun Leben reingekracht ist. Um es vorwegzunehmen: Die damals gekürte "Miss Leipzig" hat es auch heute am ehesten geschafft, ihrem Alltag zu entfliehen. Sie hatte eine „Lichterfahrung“ und ist so der Wirklichkeit auf wundersame Weise entkommen.
Alle anderen kamen in der Realität an: Mit und ohne Kinder, mit und ohne Mann, mit und ohne Erfolg.

Am Anfang waren Fotos. Der Student Gerhard Gäbler hatte damals die Bewerberinnen fotografiert – am Arbeitsplatz und im privaten Bereich. Und zufällig ließ er auch einen Kassettenrecorder mitlaufen. Nichtsahnend, dass er hier Geschichte aufnahm.
Jahre später dann die Idee. Gunther Scholz hat die Frauen wieder aufgesucht. Bei zwölf Frauen war er, neun zeigt er. Für jede hatte er nur zwei bis zweieinhalb Tage Zeit. Ein Wunder, wie er es schaffte, dass sie sich ihm so öffneten. Und er widerstand dem gewöhnlichen Reflex, sie einfach vorzuführen und widmete ihnen einen gescheiten Film, in dem er die jeweilige Situation mit klugen Schnitten statt besserwisserischen Worten kommentiert.

Vielen Frauen, die heute um die 40 sind, ist die historische Bedeutung ihrer Generation gar nicht bewusst. Dass sie etwas Besonderes sind. Dass sie die letzte DDR-Frauengeneration sind.

Ostfrauen seien „nicht anspruchsvoll“, sagt ein Westehemann über seine Ostgattin. Ein Miß-Verständnis/Miss-Verständnis? Kurz nach den Dreharbeiten jedenfalls war dieser Ehemann wieder solo. Schon allein davon sollte die ganze Kinorepublik erfahren.

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Kino Babylon, Berlin-Mitte, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Telefon: 242 59 69. Vorführungen:
am Fr (16.5.) um 19 Uhr
am So (25.5.) um 20.15 Uhr
am Mo 26.5. um 18.30 Uhr
am Di (27.5.) um 19.45 Uhr

neue Zusatztermine im Kino Babylon:
am Do (9.5.) um 19.15 Uhr
am Do (5.6.) um19.15 Uhr
am Mi (11.6.) um 19.00 Uhr 

 

Verfasst am 15.05.08, 17:27 Uhr
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Kommentare

Einer der besten Dokumentarfilme der jüngeren Zeit, weil er verschiedene Ebenen zeigt: fehlende Freiheit und andere Misslichkeiten in der DDR, Möglichkeiten und Probleme in der heutigen Zeit, private Einblicke, rundum interessante und lebenstüchtige Frauen - unbedingt hingehen! Und danke für den schönen Text samt der Neuigkeit am Ende.

Verfasst von: Caro | 15.05.08, 22:38 Uhr

 

Klasse Artikel, vor allem, weil die Fotos alles sehr schön ergänzen. Gefällt mir sehr, Frau Zöllner.

Verfasst von: Anna Liebi | 16.05.08, 17:31 Uhr

 

Der Film mag soziologisch sehr interessant sein, der Artikel ist aus Sicht eines Ex-DDR-lers einfach nur flach.
Wie schön war doch die DDR. Was besonderes die letzte Frauengeneration gewesen sein soll, das ist die Frage. Jedes Mädchen wäre lieber im Westen aufgewachsen als die Peinlichkeit DDR zu erleben.
Im Kontext des Artikels, waren auch die letzte Frauengeneration des III.Reichs, der Kaiserzeit etc. ganz besondere Frauen.
Die besonderen Frauen in der DDR, die 1989 um die 20 waren, haben rebelliert und sich nicht wie Frau Albini angepasst!

Verfasst von: Anna-Lena | 17.05.08, 14:17 Uhr

 

Da ich auch zu besagter Frauengeneration gehöre (Jahrgang 67- ein ganz besonderer!!!), möchte ich hier doch einmal dagegenhalten. Ich frage mich ernstlich, woher meine Vorrednerin so genau weiß, dass jedes Mädchen damals lieber im Westen aufgewachsen wäre. Mir jedenfalls war es nie peinlich, ein Kind der DDR zu sein und das auch nicht auf internationaler Ebene. Ich hatte auch nie die Absicht, dieses Land zu verlassen, obwohl mir mit dem Erwachsenwerden zur damaligen Zeit durchaus sehr klar wurde, dass da eine Menge Dinge nicht so liefen wie ursprünglich gedacht. Dass es viele von meinem Schlag gab, kann ich guten Gewissens versichern. Ich habe die aufregende Zeit der Endachtziger als Studentin in Leipzig verbracht und weiß noch sehr gut, wie wir uns fühlten, als aus den hoffnungsvollen Parolen des Aufbruchs, den Forderungen der damals Ausreisewilligen, die wir durchaus teilten und unterstützten, plötzlich „Wir sind EIN Volk!“ wurde. Wir, die wir von Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und dergleichen Grundrechten geredet hatten, wurden einfach überbrüllt. Wir sahen sie sehr gut von den Fenstern unseres Wohnheimes aus, die Busladungen von „Demonstranten“ von weit her, die sich dann mal so einfach unter die Leipziger mischten. Keine Chance mehr, sich Gehör zu verschaffen mit vernünftigen Parolen. Enttäuscht und entsetzt zogen wir uns von dieser Art Demonstrationen zurück. „Einig Vaterland“ war für uns damals etwas völlig Unwirkliches, mit dem wir nicht viel verbanden und das auch nicht das erstrebenswerteste und wichtigste unter unseren Zielen war. Ja, Rebellion ist für die besagte Generation durchaus typisch. Nur spielte sie sich wohl in sehr unterschiedlicher Weise ab. Nicht jeder trat in vorderster Linie auf. Manchmal waren es vielleicht nur die Auseinandersetzungen mit der Vätergeneration, die hitzigen Diskussionen im Freundeskreis oder ganz bescheidene Akte der Unangepasstheit, die dem Unrecht in der DDR hier und da ein wenig Einhalt geboten. Diese Rebellion war mit Sicherheit eine genau so wichtige und wertvolle. Ich finde es schlichtweg anmaßend, Abini Zöllner Angepasstheit zu unterstellen. Bevor man sich derart diffamierend äußert, sollte man erst einmal gründlich recherchieren...
Ich bin sehr gespannt auf den Film. Die Misswahlen damals in Leipzig habe ich irgendwie verpasst. Na ja, hätte vermutlich sowieso wenig Chancen gehabt...

Petra Sawadogo

Verfasst von: Petra Sawadogo | 17.05.08, 17:01 Uhr

 

@ Frau Anna-Lena: Danke, dass Sie für „jedes Mädchen aus der Ex-DDR“ sprechen. Versuchen Sie da etwa, die von Ihnen kritisierte „Flachheit“ des Blogs noch zu untergraben, Sie Schlingel?
Dass Sie mich gar nicht mögen, macht mich betroffen :( Ihr Vorwurf der „Angepasstheit“ hat mich dann aber wieder amüsiert : )

Grüße von Frau Abini (rpt: Abini, nicht: Albini)

Verfasst von: Abini Zöllner | 19.05.08, 14:14 Uhr

 

Als die große Freiheit über uns letzte DDR-Frauen-Generation hereinbrach, die Einkaufswütigen, Konums-nachholen-Müssenden unter uns, sich freiwillig in die endlosen Schlangen vor den Wühltischen der Billigläden einreihten und sich um von LKWs herabgereichte gratis Kaffeproben schubsten; hysterisch schreiend um Einlass baten in den Bankentempel am Alexanderplatz, die bunten Scheine, mit denen sie früher bezahlten, eintauschten gegen buntere und noch mehr Türen öffnende Papierscheine, da weinten die, die das nicht glauben konnten, an den inzwischen abhörfreien Küchentischen mit dem selbstemachten Obstweinen und Holunderblütensekten wütende Tränen über die verratene oder verkaufte oder eingetauschte Revolution, über die gewählten Ergebnisse.
Als dann die Postchen und Pöstchen, die Positionen und Positiönchen verteilt wurden unter denen, die schon immer ein wenig dagegen gewesen waren, zogen sie sich zurück, um zu verarbeiten, was ihnen da soeben geschehen war und was sie so nicht gewollt hatten. Sie ließen sich Zeit mit dem Ansicharbeiten und dem Sich-eine- eigene- Meinung -Bilden, während die Pioniere ihre Memoaren veröffentlichten und begannen, ihren Generationen Namen zu geben und der Diktatur des Proletariats sei Dank, schon mal was erlebt zu haben glaubten.
Sie zogen ihre Kinder groß und erklärten den Frauen vom anderen Teil, dass ihre Männer sehr wohl gegen den Paragraphen 218 demonstrieren dürfen sollen müssen, weil sie Teil der Entscheidung "Dafür oder Dagegen" zu sein, gewohnt waren und weil Emanzipation sich ihrer Erfahrung nach nicht gegen den mänlichen Teil der Gesellschaft richtet; als das nicht zu erklären oder anderereits zu verstehen war, ging man sich aus dem Weg und besuchte nicht mehr die gleichen Demonstrationen.
Die Ferne war denkbar, doch sie war ein "schönes Ding und immer da wo, wir nicht sind". Aufgebrochen, Dageblieben oder Wiedergekommen. Inzwischen haben wir zu uns gefunden, sitzen wieder an unseren Küchentischen, erklären unseren Kindern, was das damals war und haben den Teilnehmerkreis erweitert, er ist um einiges bunter und internationaler geworden. Wir müssen uns keine Zeichen geben, um uns zu erkennen, wir wissen mit sicherem Instinkt, ob die Neue auch aus der letzten DDR-Frauengeneration kommt.

An wen muss ich mich wenden, um eine Kopie des Films zu bekommen? Zwischen mir und dem Kino liegen mehrere Tausend Kilometer, aber sehen würde ich ihn schon gar zu gern.

Verfasst von: I.P. | 20.05.08, 03:41 Uhr

 

auch ich wuesste gerne, wie und ob es moeglich ist eine kopie des filmes zu bekommen.

Verfasst von: s.g. | 20.05.08, 08:39 Uhr

 

Frau I.P., Frau Sawadogo, Sie sprechen mir aus dem Herzen! (und Frau Zöllner ohnehin - schön, dass Sie sich wieder melden!)
Ein Gruß vom ebenfalls ganz besonderen Jahrgang 61!

Ich finde es immer wieder schwierig, unseren Alltag, unsere Gefühle und Erfahrungen aus den 80-er Jahren in der DDR Jüngeren zu vermitteln. Die eigenen Kinder interessiert es oft nicht, von fremden Mittzwanzigern wird man wie ein Exot bestaunt:

Was? Du hattest mit 25 schon ein Kind und hast Vollzeit gearbeitet? Und dein Ex-Mann hat noch zwei Jahre in deiner Wohnung gelebt? /Wo sollte er auch hin?/ Und wie, dein zweiter Mann hat dich trotz des Kindes vom ersten Mann geheiratet?
Du warst nicht bei der Stasi? Du warst nicht in der SED? Du warst kein Stasi-Opfer? /Selbst wenn, wen interessiert das heute noch/

Und du konntest nicht das studieren, was du wolltest, und bist trotzdem zufrieden mit deinem Beruf?

Ich glaube, es ist das Recht der jungen Generation, nach vorn zu blicken und auf alles, was vor ihrer Geburt passiert ist, mit einem leichten Gruseln zu schauen. (Erinnern Sie sich an die Erzählungen unserer Eltern aus der Kriegs- und Nachkriegszeit?)
Da muss man als Erfahrenere die Unwissenheit und das vorschnelle Urteil der Jungen als das einordnen, was es meist ist: pubertär. In den meisten Fällen ist dieser Zustand in ein paar Jahren vorüber und dann sind Leute wie Anna-Lena diejenigen, über die ihre Kinder oder Folgegeneration nicht immer vorteilhaft urteilen werden.

Verfasst von: KM | 21.05.08, 10:50 Uhr

 

@ alle Interessierten: Der Film hat bisher noch immer keinen Verleiher gefunden, aber das ist der Stand: Am 1. Juni gibt es eine Aufführung im Lux Kino in Halle, und möglicherweise ist eine TV-Ausstrahlung im Herbst auf Arte geplant. Wenn es etwa Neues gibt, wird es sofort hier stehen. Versprochen.

Verfasst von: Abini Zöllner | 22.05.08, 15:22 Uhr

 

Grüsse vom Regisseur:
Ich freue mich sehr über die Kommentare - wenn ein Film zum Gespräch anregt, ist das wunderbar. Nun geschieht es hier sogar, ohne das die meisten den Film gesehen haben - vermutlich, weil da jemand (Abini Zöllner)sehr persönlich über ihre Eindrücke von diesem Film gesprochen hat - und die Nahtstellen zum Leben sehr dicht sind.
Ich wünschte, wir wären schon präsenter im Kino, aber das ist mit Dokfilmen immer wieder schwer. Für mich ist es wunderbar, volle Kinos erlebt zu haben und zu merken, daß das Publikum Spaß hat, aufmerksam zuschaut und-hört und am Film "dranbleibt", trotz 90 Minuten - Menschengeschichten sind wohl doch das Spannendste und starken Frauen (das sínd die "Heldinnen" eigentlich alle, obwohl durchaus sehr unterschiedlich) begegnet man im Leben wie auch im Kino gern.
Wenn Sie noch ein paar Informationen wollen:
www.dokfilm-die-schoenen.de
Sagen Sie es auch Ihrem nächsten "Kinochef" weiter, wenn er einen Beamer hat für DVD-Abspiel, hat er auch eine Chance, den Film zu zeigen.
wichtig: 1. Juli (!), 20.30 Uhr im Lux-Kino Halle - und hoffentlich noch hier und da, wir werden Termine auch auf der Webseite veröffentlichen.

Ein Dank an Abini Zöllner für ihr persönliches Engagement für diesen Film und Grüße an die Neugierigen im Lande...

Gunther Scholz

Verfasst von: Gunther Scholz | 22.05.08, 19:32 Uhr

 

seit Tagen dieser Kommentar- es wird langweilig

Verfasst von: Emma | 25.05.08, 09:00 Uhr

 

Sehr schöner, wichtiger Film.

Verfasst von: Gerhard M. | 28.05.08, 07:30 Uhr

 

Vielen Dank an Abini Zöllner für Ihr Engagement diesen ausgezeichneten Film betreffend. Ein Lichtblick in dieser langweiligen Einöde der Serienhelden und angeblichen sexy women.....

Verfasst von: Eveline Kolloch | 02.06.08, 23:00 Uhr