Sie ist Tag und Nacht erreichbar – und dabei immer freundlich. Sie ist eine besondere Frau und hat eine große Fangemeinde. Sie ist eine sympathische Hausärztin – auch, weil sie sich manchmal nicht mal an ihre eigenen Ratschläge hält …

56 dpa Michael HanschkeBerlin-Mitte: Die Patienten nehmen weite Anreisen und lange Wartezeiten in Kauf. Denn so eine Ärztin, wie diese hier, „so eine gibt es doch heut  gar nicht mehr“, sagt eine Dame im Wartezimmer.
Frau Dr. H. ist ein Auslaufmodell. Eine Hausärztin, die sich viel Zeit nimmt und viel Wärme gibt. Die nicht zwischen Privat- und Kassenpatienten unterscheidet. Die nicht im Akkord abfertigt und nie hohe Rechnungen ausstellt. Ein Albtraum für jedes gewinnorientierte Ärztehaus. Ein Traum für die Patienten.
Nun ist sie 71 und hört auf.  Seit drei Tagen hat sie ihren „letzten Arbeitstag“. Ihre treue Gefolgschaft verabschiedet sich von ihr. Es sind so viele, dass sie beschließt, noch mal  am Freitag – also ein viertes Mal – eine Sprechstunde einzurichten. Sonst ist es nicht zu schaffen.
Am Dienstag sitzen im Wartezimmer  geduldig  14 Patienten. Es ist 18.30 Uhr. Die Schwester vergibt an mich  lächelnd die Nummer 15.  Wird wohl eine lange Nacht? Ganz sicher, sagt die Schwester, sie habe sich auch nichts weiter vorgenommen.
Unter den Patienten ergeben sich zwischen  prächtigen Blumensträußen und bunten Tüten    allerlei Gespräche. Ich erfahre, dass ein Patient seit drei Tagen in Bereitschaft ist, um Frau Doktor nach Hause zu fahren. Wegen der vielen Geschenke.
Wo  gibt’s denn so was noch?
„Man kann ihr vertrauen. Und keine Frage bleibt unbeantwortet.“
„Ja, weil sie professionell ist.“
„Und sie erkennt Patienten auch auf der Straße. Weiß, was jeder hat.“
„Sogar mein etwas sturer Mann lässt sich regelmäßig untersuchen.“
„Und sie überweist einen immer an erstklassige Kollegen.“
Als  sie das Wartezimmer betritt,  stimmen zehn Patienten „Alles Gute auf allen Wegen“ an. Die Atmosphäre ist einmalig. Wie Frau Doktor. Ich erinnere mich, wie sie abends mal zu Hause anrief, um sich zu erkundigen, ob es meinen Kindern besser ginge als am Vormittag.
Und wie sie mich stets wegen der Schlafstörungen ermahnte: „Sie müssen lernen, Dinge auf den nächsten Tag zu verschieben. Bitte arbeiten Sie nicht so lange. Die Nerven brauchen eine Pause.“ Das klang plausibel.
Eines späten Abends, es war fast nachts, rief ich in ihrer Praxis an, um auf den Anrufbeantworter zu sprechen. Aber Dr. H. nahm den Hörer selbst ab. Sie war noch da und sagte: „Prima, dass Sie anrufen, gerade heute  ist Ihr Befund gekommen.“
Ich war erst überrascht und sagte dann vorsichtig: „Frau Doktor,  Sie sollten lernen, Dinge auf den nächsten Tag zu verschieben. Bitte arbeiten Sie nicht mehr so lange.“
Wir haben herzlich gelacht. Und jetzt macht sie Ernst. Alles Gute!