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Nach den Übergriffen auf acht Inder in Mügeln ruft die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) die Deutschen zu mehr Zivilcourage auf. „Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Zivilcourage“, meint auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Niemand kann sich seine Beschützer aussuchen. Aber, Hand aufs Herz, es fällt mir schwer, mir vorzustellen: wie Frau Böhmer sich in den prügelnden Mob begibt oder wie Herr Pofalla sich gewaltsuchenden Neonazis in den Weg stellt. 

Ich habe längst gelernt, mich in solchen Situationen auf niemanden zu verlassen, außer auf mich selbst. Daher ist es wahr, was Vize-Regierungssprecher Thomas Steg gestern sagte: „Zivilcourage kann man nicht verordnen. Man kann sie sich nur wünschen.“ Auch für Angela Merkel (CDU) ist es „eine Frage an jeden Einzelnen, bei solchen Vorgängen einzuschreiten“. Jedoch: Was da so schön einleuchtend klingt, hilft leider überhaupt nicht weiter.

Wer weiß schon, dass jeder Bürger zur Zivilcourage vom Gesetz her verpflichtet ist? Unser Vize-Regierungssprecher und unsere Bundeskanzlerin wissen es offenbar nicht so ganz genau, sonst würden sie nicht mit der Kür, sondern mit der Pflicht argumentieren.
Einschreiten oder sich raushalten? Per Gesetz, so meldet die Nachrichtenagentur AFP, sind die Bürger verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Zivilcourage zu zeigen. Die Polizei habe dazu sogar Regeln aufgestellt. Aber wer kennt sie?

Zivilcourage

Da tanzen also Inder auf einem Fest, einigen Besuchern passt das nicht, die Situation spitzt sich zu, die Inder verlassen das Fest und werden am Ausgang von einer „Gruppe Deutscher erwartet“. Es kommt zur Jagd. Leute schauen zu. Muss man sich so Mügeln vorstellen?
Ein Zeuge berichtet unserer Zeitung gegenüber: „Ich habe versucht, die Security-Leute vom Stadtfest zu Hilfe zu holen, aber die rührten sich nicht.“ Dieser Zeuge hat doch Zivilcourage gezeigt. Aber was ist mit den „Ordnungskräften“? Nahmen sie den Begriff No-Go-Area wörtlich? Oder waren das Gesinnungskollegen von jenen Extremen, die – wie die Opferberatung Amal sagt – als selbsternannte Dorfpolizisten für Ordnung sorgen wollen?
Wäre da nicht eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung fällig? Muss man diese Ordner nicht besser Un-Ordner oder- Un-Sicherheitspersonal nennen?

Nun, wir wissen noch nicht, ob es sich um eine rassistisch motivierte Hatz handelte: Betroffene und Zeugen haben zwar die Parolen „Ausländer raus!“ und „Scheiß Ausländer“ deutlich gehört. Aber – wie Mügelns Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) sagt – „solche ausländerfeindliche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen“. Im Übrigen sei bei den Vernehmungen der festgesetzten Deutschen bis jetzt noch kein rechtsextremer Hintergrund erkennbar geworden. Die Gewalt müsse ja „nicht nur“ von den Deutschen ausgegangen sein, es könne sich sogar um eine „normale Bierzeltschlägerei“ handeln.
Ja aber seit wann braucht der Bürger für eine „Bierzeltschlägerei“ Zivilcourage?

Die verletzten Inder haben indes kritisiert, dass sich die Polizei nach dem Übergriff nicht ausreichend um sie gekümmert habe. Sechs bis acht Stunden saßen sie auf dem Revier in Oschatz, ohne dass ihnen medizinische Hilfe angeboten wurde. „Niemand hat uns gefragt, ob wir Schmerzen haben“ oder jemand ins Krankenhaus möchte.
Bewahrheitet sich dies, dann ginge es hier nicht um Zivilcourage – die jedem zufällig vorbeikommenden Passanten abverlangt wird. Sondern vor allem um Courage für jene Leute, die kein Zivil tragen.

 

Verfasst am 23.08.07, 17:48 Uhr
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Kommentare

Es hat ja schon etliche Studien oder Untersuchungen zur Zivilcourage gegeben (z.B. die junge Frau, die in der belebten Fußgängerzone belästigt wird). Die allermeisten Passanten gehen weiter. Und in der Realität ist es leider genauso, egal ob im Westen oder Osten der Republik. Einen Aufruf zu mehr Zivilcourage finde ich daher sehr wichtig, das geht uns wirklich alle an. Aber wenn die Berichterstattung stimmt, dann ist es schon sehr traurig, dass sich nicht ein paar Leute ein Herz gefasst haben um der Hetzjagd ein Ende zu setzen. Sind wir alle wirklich solche Waschlappen und Feiglinge, oder so unerträglich gleichgültig?

Verfasst von: Bea | 24.08.07, 12:02 Uhr

 

Im Land der Selbstverwirklicher und Egomanen sollte man nicht auf Hilfe hoffen. Die Menschen sind das Resultat dieser auf sich selbst bezogenen Gesellschaft.

Verfasst von: Anonymous | 24.08.07, 14:23 Uhr

 

Richtig werte Frau Zöllner, auch Politiker und Journalisten sollten Zivilcourage zeigen/leben. Sie schrieben von den Ordnern...sofort Anzeige! Wenn nicht von dem Gast, dann eben von einem Journalisten, mit dem Gast im Hintergrund. Ebenfalls Anzeige für OB Deus;FDP also, so so, muß ich mir merken;wegen Beleidigung! Mir kamen noch nie solche Aussagen über die Lippen, wie mir ein Herr Deus unterstellt. Im Umkehrschluß würde das ja bedeuten, daß es auch ihm schonmal passiert ist -ich schreibs nicht aus- also ein FDP OB der sowas sagt...der ist doch nicht mehr tragbar.
Aber mal ehrlich, Hand aufs, diese Schläger, diese jugendlichen, sind doch armselige Gestalten, hätten sich 6, 7, oder noch mehr aufrechte Frauen entgegengestellt, sie hätten den Schwanz eingezogen, in der Türkei gab es schonmal so ein Bsp. Tja, aber in Sachsen schaut man eben nicht so gern über den eigenen Tellerrand (Gendefekt vielleicht, historischen gesehen haben "die" ja öfters verpeilt!), schade eigentlich, da sie sich selbst viel entgehen lassen.
Also, wer macht nun die Anzeige gegen Deus, die Ordner, oder einige Gaffer? Ich weiss schon, nächste Woche ist schon wi(e)der ein anderes Thema dran, so wie immer. Ein Hoch auf unsere Journalisten! Der Blog hier kommt, nach meiner Meinung, auch etwas spät. Warum eigentlich? So geschockt gewesen?

Verfasst von: Roland | 24.08.07, 14:36 Uhr

 

Es kann ja wohl nicht sein, daß eine Ministerin dafür verantwortlich gemacht wird, was da in Mügeln abgelaufen ist. Es kann auch das Geschreie nach immer mehr Geld für irgendwelche Projekte gegen Rechts, welches ohnehin im Sande versickern würde, nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier die Menschen in Mügeln einfach mal total versagt haben. Sie sollten sich, einschließlich ihres abwiegelnden Bürgermeisters ein fach mal schämen. Außerdem haben ja auch wohl die demokratischen Parteien,insbesondere die Linkspartei eine Verantwortung zur Schaffung einer Stimmung im Ort, die allen ein friedliches Nebeneinander ermöglicht.
Was ich jedoch auch sehr schlimm finde, ist die Frage der Behandlung der verwundeten Inder bei der Polizei. Was sind das nur alles für Menschen, die die normalen Hilfeerfordernisse einfach ignorieren.

Verfasst von: H.Gablick | 24.08.07, 15:28 Uhr

 

Was da ein Herr Tiefensee vom Stapel gelassen hat, sehr merkwürdig. War er es doch, der den Bau der Leipziger U-Bahn angeschoben, und mit einer ICE-Anbindung begründet hat, obwohl zum gleichen Teitpunkt schon bekannt war, die Bahn(der ICE) fährt an Leipzig vorbei. Kosten für diese 4-Bahn Stationen, ca. 550 Millionen Euro, Schwarzkoffer und Inflation nicht miteinberechnet;Faustregel, ca. 10% der Gesamtkosten gehen als Schmiergeld drauf, in der Baubranche.
Das sollte man dem Herrn Tiefensee mal unter die Nasen halten, wenn er wiedermal vom fehlenden Geld dahersabbelt.

Verfasst von: Urs | 24.08.07, 20:21 Uhr

 

Es liegt scheinbar in der Natur des Menschen, erst dann einzugreifen, wenn sie sich selbst einmal in einer bedrohlichen Situation befanden und Hilfe erhielten. Ja, Bea, es stimmt : Wir sind es. Nur ein Bruchteil der JetztentsetztmitdemKopfschüttler würde reagieren. Der Rest würde auch da den Kopf schütteln und das Weite suchen.
Lars

Verfasst von: Lars | 27.08.07, 10:01 Uhr

 

Zivilcourage ist eine verkleinerte Form wirklichen bürgerlichen Engagements.

Solang in Deutschland einem Peiniger eines Tieres in die Arme gefallen wird, eine Kindesmisshandlung hingenommen wird, solange werden auch solche Vorkommnisse, wie in Mügeln immer wieder vorkommen. Es ist schon an der Reaktion des Bürgermeiesters klar: wir haben alles richtig gemacht oder nicht? Am meisten halte ich davon, dass sich Beamten, die dies eigentlich verhindern müssten, die Polizei beispielsweise, strickt an die Gesetze halten.

Das fällt jedoch schon Richtern sehr schwer, wie hier nachzulesen ist:

http://www.kindesraub.de/index.php?menuid=39

Ihr Franz J. A. Romer - franzja

Deutsche Politik: Es reicht nicht, keine Ideen zu haben, man muss auch unfähig sein, diese umzusetzen.

 

Verfasst von: Anonymous | 04.09.07, 23:47 Uhr