Das Melderecht macht es möglich: Wie sich ein fremder Mann plötzlich bei uns eingemietet hat und wir ihn lange nicht loswurden

MitbewohnerEndlich ist er weg. Lange hatten wir für Herrn M. die Post entgegengenommen. Meist waren es Kontoauszüge. Die Briefe waren an ihn adressiert, so als wohne er bei uns. Wie selbstverständlich stand drauf: "Herr M. bei Familie Z." Anfangs dachten wir an ein Versehen, doch dann beschlich uns der Verdacht, der Herr mit dem fremdländischen Namen könnte sich bei uns illegal eingemietet haben. Was für ein Irrtum: Er hatte sich legal eingemietet!
Seit sich das bundesweite Melderechtsrahmengesetz 2002 "bürgerfreundlicher und unbürokratischer" gibt, seit es auch in Berlin liberalisiert wurde, sind Scheinanmeldungen problemlos möglich. Mietverträge werden nicht mehr verlangt, und auch der Vermieter ist nicht mehr in der Pflicht, Bestätigungen zu unterschreiben. Es wird auf Freiwilligkeit gesetzt. Damit sinkt die Qualität der Meldedaten, denn dieser Umstand bietet hervorragende Gelegenheiten, um unterzutauchen, seinen Unterhaltspflichten nicht nachzukommen oder polizeiliche Ermittlungen stranden zu lassen.
So gibt es in Berlin Zwei-Zimmer-Wohnungen, in denen mehr als 40 Personen gemeldet sind. Spezialeinsatzkommandos haben schon Türen unbescholtener Bürger gerammt, um dort vermeintliche Kriminelle im Dutzend festzunehmen. In der Hauptstadt sind Schätzungen zufolge bis zu 200.000 Menschen unter einer falschen Adresse gemeldet. Davon, so vermuten Fachleute, beträgt die Zahl der bewussten Scheinanmeldungen beinahe 10.000.
Von Einzelfällen - wie dem des Radio-Moderators Robert Skuppin - hatte unsere Familie schon gehört. In der Wohnung Skuppins hatten einmal mitten in der Nacht Polizisten mit vorgehaltener Waffe gestanden, um die Zimmer zu durchsuchen. Der Grund: Zuvor waren Russen festgenommen worden, die in seiner Wohnung gemeldet waren - ohne Wissen des Mieters.
Unser erster Weg führte also erstmal zur Bank. Dort stellten wir klar, dass wir keine Post mehr für Herrn M. erhalten wollen, weil er schlichtweg nicht bei uns wohnt. Die Bank änderte alles umgehend und problemlos.
Den zweiten Weg ging ich dann allein zum Bürgeramt. Dort wollte ich lediglich erfahren, was hier vor sich geht, und warum ein Mann aus Litauen plötzlich zur Familie gehört. Es entspann sich ein bemerkenswerter Dialog mit der Dame vom Bürgeramt.
"Ich vermute, dass jemand widerrechtlich unsere Adresse benutzt. Hier ist einer der Briefe."
"Zunächst einmal muss ich Sie belehren, dass Sie gesetzeswidrig gehandelt haben. Sie dürfen keine fremde Post öffnen!"
"Fremde Post? Unser Name stand doch auch drauf, und der Brief lag in unserem Briefkasten."
"Trotzdem! Das Briefgeheimnis wird im Grundgesetz Artikel 10 garantiert. Sie haben sich sogar strafrechtlich relevant verhalten. Paragraf 206 Strafgesetzbuch."
"Strafgesetzbuch? Das ist starker Tobak, während Sie eine Falschanmeldung nur als kleine Ordnungswidrigkeit abtun. Ich brauche von Ihnen keine kompetente Drohung, sondern kompetente Hilfe."
"Ich habe die Gesetze nicht gemacht."
"Ich will jetzt einfach gern wissen, warum ein Wildfremder in unserer Wohnung gemeldet ist. Und wer noch alles bei uns wohnt."
"Die Verwaltungsgebühr für eine Melderegisterauskunft beträgt fünf Euro. Pro Person. Mit der Auskunftserteilung wird Ihre Anfrage abgeschlossen und nicht aufbewahrt. Nennen Sie jetzt bitte alle Namen."
"Alle Namen? Ich habe nur den von Herrn M., die anderen wollte ich von Ihnen wissen."
"Dann können wir eben nur den einen nachforschen."
"G. M."
"Ja, der Herr ist bei Ihnen gemeldet."
Mitbewohner II"Der Herr wohnt aber nicht bei uns. Wir kennen ihn nicht mal."
"Dann unterschreiben Sie die Auszugsmitteilung."
"Auf keinen Fall! Er ist ja niemals bei uns eingezogen."
"Wir haben aber kein anderes Formular."
"Ich möchte ihn aber richtig abmelden."
"Abmelden können Sie ihn nicht, das kann nur er selbst."
"Und wie geht es jetzt weiter?"
"Das Einwohnermeldeamt wird informiert, möglicherweise erhalten Sie auch Post von der Polizei. Sie wissen ja, was zu tun ist."
"Wir dürfen die Post nicht öffnen?"
"Richtig. Sie senden die ungeöffnete Post mit dem Vermerk 'Adressat wohnt nicht hier' zurück an den Absender."
"Und dann?"
"... bekommen Sie in ein paar Monaten Bescheid."
Ein paar Monate vergingen, wir erhielten keine Post, die wir nicht öffnen durften. Also wagten wir eine telefonische Nachfrage beim Amt:
"Wohnt Herr M. noch bei uns?"
"Das darf ich am Telefon nicht sagen. Sie müssen herkommen."
"Also, wohnt er noch bei uns?"
"Nein, er ist ausgezogen!"
"Na ausgezogen ist er ganz bestimmt nicht, höchstens abgemeldet. Aber wenn Herr M. noch den Pass mit unserer Adresse besitzt, könnte er sich noch lange mit dem Schlüsseldienst Zugang zu unserer Wohnung verschaffen ..."
"Aber Sie wissen doch, dass man durch die Stadt gehen, sich Klingelschilder ansehen und einfach irgendwo anmelden kann."
"Ja, ich weiß es. Sie wissen es. Vor allem die, die es nicht wissen sollten, wissen es."
"Na, jetzt ist er ja weg."
"Und wie kam es zu der Löschung? Ist Herrn M. etwas passiert?"
"Auch, wenn er sich unerlaubt bei Ihnen angemeldet hat - ich darf Ihnen nicht sagen, auf welcher Grundlage er aus Ihrer Wohnung gelöscht wurde."
"Warum nicht?"
"Datenschutz!"

 

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P.S. (Stand vom 10,.4.2012)
Einfach, aber problematisch
Seit 2002 hat der Bundesgesetzgeber das Melderecht vereinfacht. Diese Novelle sollte eigentlich Wohnsitzanmeldungen für die Bürger und die Bearbeitung bei den Ämtern entbürokratisieren. Zugleich wurde dadurch aber jedem ermöglicht, sich überall ohne Nachweis anzumelden.
Bereits seit 2004 gibt es Forderungen an den Bund, die Sinnhaftigkeit des Verfahrens zu überprüfen, weil so der Missbrauch vereinfacht wurde.
In diesem Jahr soll im Bundestag die Melderechtsnovelle noch einmal debattiert werden.
Eine Verschärfung der Meldepflicht würde zwar den Bürokratieaufwand geringfügig erhöhen, dafür aber die Qualität der erhobenen Daten erheblich verbessern. Zudem könnten Kriminelle nicht nur wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt werden, sie würden sich dann vielmehr, etwa wegen Urkundenfälschung, strafbar machen.